
Bereits als Kind habe ich mich gefragt, was es mit der Liebe so auf sich hat. Es hat mich damals kein Thema mehr beschäftigt, als die Frage, wie sich wahre Liebe zeigt und wie ich erkennen kann, was Liebe ist. Für mich war das Wort "Liebe" lange Zeit ein großes Mysterium. Heute weiß ich, wie groß die Macht der Liebe ist und welche Chancen des persönlichen Wachstums sie mit sich bringt. Die Liebe verändert und bringt Veränderung mit sich. Die Liebe fordert uns heraus über den eigenen Schatten zu springen und tiefer zu graben.
In meinem Alltag mit Menschen fühle ich mich immer wieder neu herausgefordert und auf die Probe gestellt.
Es gibt genügend Situationen, in denen ich mit meiner Liebe an meine Grenzen komme. Zum Beispiel, wenn ich mich missverstanden, ungerecht oder schlecht behandelt fühle. Wenn ich die Entscheidungen und Aussagen meines Gegenübers nicht verstehe. Oder wenn die Erwartungen, die ich an meinen Mitmenschen hatte, nicht erfüllt wurden.
Kann ich zum Beispiel meine Nachbarin lieben, die mich jedes Mal kritisch an die Kehrwoche erinnert? Kann ich meiner Kollegin mit Liebe begegnen, wenn mit ihr eine gute Zusammenarbeit nicht möglich ist und die Aufgaben am Ende an mir hängen? Ist es mir möglich, Menschen mit anderen Ansichten und Lebenseinstellungen trotzdem zu lieben? Und wie reagiere ich darauf, wenn mich Freunde auf meine Fehler hinweisen?
Erich Fromm hat in seinem Buch "Die Kunst des Liebens" einen Versuch gewagt, die Liebe zu erklären. Er schrieb in seinem Vorwort: "Ich möchte den Leser davon überzeugen, dass alle seine Versuche zu lieben fehlschlagen müssen, sofern er nicht aktiv versucht, seine ganze Persönlichkeit zu entwickeln, und es ihm so gelingt, produktiv zu werden; ich möchte zeigen, dass es in der Liebe zu einem anderen Menschen überhaupt keine Erfüllung ohne die Liebe zum Nächsten, ohne wahre Demut, ohne Mut, Glaube und Disziplin geben kann." Er betont in seinem Buch, dass wir keine simple Anleitung zur Liebe erwarten dürfen. An dieser Stelle sei gesagt, das ist ein tolles, lesenswertes Buch !!
Liebe hat viele Facetten
Im Leben bediene ich unterschiedliche Rollen. Ich bin nicht nur Mutter, sondern selber Tochter. Ich bin Mitarbeiterin, Freundin, Nachbarin und vieles mehr. Die partnerschaftliche Liebe ist nicht vergleichbar mit der Liebe zu meinem Kind. Auch die Liebe zu meinen Eltern ist wiederum eine andere. Und dann gibt es da noch die Eigenliebe (also die Liebe zu mir selbst) und die Liebe zu meinem Nächsten, die Person, die mir gerade begegnet. Eins haben jedoch alle gemeinsam - in jeder Beziehung, egal ob zu meinen Eltern, meinem Kind oder als Kollegin, Freundin und vieles mehr, bin ich auf eine bestimmte Art und Weise mit meiner Liebe herausgefordert.
Liebe fordert Eigenliebe
Es ist sehr schwer auf Situationen, die mich in meiner Persönlichkeit angreifen, gelassen und geduldig zu reagieren -dazu braucht es genug Eigenliebe. Sie fordert die Liebe zu mir selbst und zeigt sich durch Eigenannahme, Wertschätzung und Respekt mir gegenüber. Wenn ich mich selber annehmen und lieben kann, dann fällt es mir auch leichter, meinen Nächsten zu lieben.
Liebe setzt Grenzen
Aus Liebe setze ich mir selber und meinen Mitmenschen Grenzen. Ich denke da zum Beispiel an die Kindererziehung, sie würde ohne Grenzen nicht funktionieren. Aus Liebe schränke ich den Süßigkeitenkonsum von meinem Kind ein oder vereinbare feste Medienzeiten, da ich das Beste für mein Kind möchte.
Die Liebe fordert uns heraus mehr zu sehen, als das Offensichtliche
Auf den ersten Blick, sehe ich was passiert, dass mich eine Person gerade mit ihrem Verhalten nervt oder ich enttäuscht bin. Ich empfinde, dass ich nicht wertgeschätzt wurde oder es scheinbar nur um meine Leistung geht. Oder ich ärgere mich über die Ansicht von einem Menschen und rege mich auf. Aber kann ich hinter die Fassaden schauen und sehen, was diese Person im Leben geprägt hat? Welche Erfahrungen sie in der Vergangenheit gemacht hat? Weiß ich, was ihre Strategie war, mit Enttäuschungen umzugehen? Ich versuche mir das immer wieder aufs Neue bewusst zu machen, bevor ich reagiere.
Liebe fordert Vergebung
Die Liebe hat auf Dauer nur Bestand, wenn ich vergeben kann. Wenn das letzte Wort nicht das Wort der Kränkung ist. Wenn ich Wut, Hass und Unvergebenheit nicht in mein Herz lasse. Ich verstanden habe, dass nur die Vergebung wirklich frei macht und Platz für persönliches Wachstum schafft. Liebe fordert mich auch auf, mir meine eigenen Fehler und Übertretungen zu vergeben und mir nicht länger die Vergangenheit vorzuhalten.

Dies ist mein erster Artikel, für den es mindestens einen Teil 2 geben wird. ;-)
Hinterlasse mir doch gerne eine Nachricht oder einen persönlichen Kommentar.
Liebe Carmen,
deine Gedanken über die Bedeutung der Vergebung in der Liebe haben mich tief berührt. Du zeichnest ein wunderschönes Bild von emotionaler Freiheit und persönlichem Wachstum, das nur durch das Loslassen von Kränkungen und das Öffnen des Herzens für Vergebung entstehen kann. Es ist wie ein warmes, sanftes Licht, das Dunkelheit und Kälte vertreibt. Deine Worte sind eine Erinnerung daran, dass wahre Stärke oft in der Fähigkeit liegt, zu vergeben und vorwärts zu schauen, anstatt in der Vergangenheit verhaftet zu bleiben.
Dennoch möchte ich eine Lanze für die Wut brechen. So paradox es auch klingen mag, ich glaube, dass Wut ihre Berechtigung im Spektrum unserer Emotionen hat. Sie ist nicht nur eine dunkle Wolke am Horizont unseres Seins, sondern…